Kurz nach der Pause gelang Salihi mit seinem zweiten Tor das 2:0. Von da an rückte das Derby in einer Woche in den Fokus. Jeder kennt dieses Gefühl, wenn man förmlich auf ein Match brennt, der Kalender aber verrät, dass es erst Montag ist. Egal ob man die kommenden Tage irgendwo in einer Schule paukt, schwachsinnige Mails in einem Büro tippt oder am Bau Zementsackerln schupft, die Woche mag einfach nicht vergehen. Deswegen traf sich ein Teil von uns Mitte der Woche zum Malen. Endprodukt war ein genialer Doppelhalter – der am Verteilerkreis zwar dabei war, der breiten Öffentlichkeit aber leider noch nicht präsentiert wurde.
Dem Mini-Chorteo wurde unsererseits dann wohl etwas zu viel Bedeutung entgegengebracht, sodass unsere Odyssee von Floridsdorf via Kagran via Hütteldorf via Westbahnhof am Reumannplatz doch einen nichtenden wollenden Charakter erhielt. Wenigstens sorgte ein spontanes Dosenbier während einer der zahlreichen Bimfahrten für Erfrischung. Eine Stunde vor Anpfiff passierten wir schließlich die Drehkreuzer und enterten die Stehplätze. Der Fetzen hängte und die Doppelhalter fertig präpariert. Nichtsahnend sollte die Situation vor der Tribüne aber eskalieren. Was genau geschah, bekamen wir nicht detailgetreu mit, Fakt war, dass dutzende gepanzerte Exekutivkräfte provozierend vor der Tribüne aufmaschiert waren. Dass die Einsatzphilosophie an Hand weniger miterlebter Szenen aber wohl nicht normgerecht praktiziert wurde, war uns schnell klar. Im Dialog wurde höchstens ein „Wos wüst?!“ entgegnet und deeskalierend wirkte der Tross von uniformierten Turtles auch nicht gerade. Lediglich bei der Durchsetzung waren die Bullen tatkräftig. Bis zu fünfzehn Verhaftungen sollen es gewesen sein, Zeitungsberichte tags darauf erwähnten lediglich eine einzige.
Insofern war der Protest gegen das harsche Vorgehen der Exekutive logische Konsequenz und die Fetzen verschwanden wieder vom Zaun – lediglich ein ACAB-Banner blieb. Die Wut stachelte die Stimmung förmlich auf, vergleichbar mit Anderlecht auswärts 2007. Auf Doppelhalter oder Fahnen wurde verzichtet. Die Kurve brannte! Nicht nur akustisch. Zig Bengalen wurden angerissen, mal da, mal dort. Chaos pur! Das war ultrà! Unsere Vertreter auf dem Platz taten ihr übriges, in Durchgang Eins noch zahm wie Schmusekatzen, in Durchgang Zwei aber bissig wie wilde Löwen. Die Schlachtgesänge trieben unsere Mannschaft weiter voran, ihr Pressing motivierte die Kurve noch inbrünstiger anzufeuern. Ein Teufelskreis in die richtige Richtung! Und dann hatte das Chaos seinen Höhepunkt erreicht. Salihi staubt zum 1:0 ab, die Kurve explodiert! Wie in italienischen Kurven sprinten die ersten fünf Reihen entsinnt Richtung Zaun und wollen den Torschützen förmlich zerfleischen. Aggressionen, Freude, Erleichterung. Eine geordnete Gefühlswelt hat man in diesem Moment nicht. Italienischer geht’s nicht mehr! Più ultrà è impossibile!
Die kommenden Reaktionen sind dann individuell. Viele singen lauter und intensiver. Die Gesänge erreichen ein ohrenbetäubendes Niveau. Manche, aber werden ruhiger. Ich zähle zu zweiteren. Die späte Führung und die wenig verbleibende Spielzeit entwickelt in mir stets ein Gefühl der Bedrückung. Als Spieler wäre das der komplett falsche Weg. Als Fan kann ich mir es aber Gott sei Dank erlauben. Und dann erwische ich mich dabei, dass ich gar nicht mehr in der Lage bin, den aktuellen Chant weiter zu singen, obwohl der Gegner gerade in der Innenverteidigung querspielt. Nur unser fettes Zyro reißt mich kurz aus dieser Lethargie. Plötzlich entfacht mitten im Block ein gelber Lichtball und weißer Rauch. Mehr als bei einem normalen Bengalen. Viel mehr! Und so schnell wie das Ding da war, ist es auch schon wieder weg. Die Lücke schließt sich wieder, der Gesang geht weiter. So gut wie’s halt geht. Und als dann endlich, der erlösende Abpfiff kommt, fühle ich mich erschöpft und ausgelaugt, aber glücklich.
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